Selbstgespräche gehören für viele Menschen zum Alltag – auch wenn einigen das gar nicht bewusst ist, weil diese Gespräche innerlich ablaufen. Ihre Wirksamkeit wird zudem oft abgetan oder mindestens unterschätzt. Hier erfährst Du, warum wir diese inneren Dialoge führen und welche Auswirkungen sie auf unser psychisches Wohlbefinden haben können.
Nach der Arbeit um 18 Uhr geht es schnell noch in den Supermarkt, das Abendessen einkaufen. Ein bisschen Obst für morgen, Brot, Kaffee, Check. Aber wo ist denn die Butter? Haben sie die woanders hin geräumt? Hach, dieser Laden war auch mal besser sortiert, wer soll sich denn da noch auskennen.
Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon einmal so oder so ähnlich Gespräche mit sich selbst geführt? Oder gelegentlich diese inneren Dialoge sogar laut ausgesprochen?
Selbstgespräche, also Gedanken, die wir als Gespräche mit uns selbst führen, sind ein alltägliches Phänomen – auch wenn sie uns nicht immer bewusst sind. Eine Art innere Stimme verbindet unsere bewussten Gedanken mit weniger bewussten Überzeugungen und Einstellungen. Das ist wichtig für die emotionale Regulation und hilft dem Gehirn dabei, die täglichen Erlebnisse zu verarbeiten und einzuordnen. Es kann sich um praktische Überlegungen handeln, auf Handlungen bezogene Kommentare („Das habe ich ja mal wieder ganz toll gemacht“) oder auch tiefgründige Reflexionsprozesse über unsere Ziele und unser Leben. Die Struktur der Sprache, die wir mit uns selbst sprechen, ist dabei oft anders, als wenn wir mit Personen im Außen kommunizieren: verkürzter, lücken- und bruchstückhaft (Werani, 2009). Gleichzeitig ist die innere Stimme sehr individuell und bei jedem Menschen anders.
Die innere Stimme entsteht bereits in der Kindheit: Ab einem Alter von zwei Jahren, sobald Kinder Sprache erwerben, beginnen sie von sich aus, Selbstgespräche zu führen. Das kann während des Spiels sein oder sie erzählen abends nach, was sie über den Tag hinweg erlebt haben.
Dadurch konzentrieren sie ihre Aufmerksamkeit und sortieren und verarbeiten die Erlebnisse ihres Tages. Eine Studie von Winsler et al. (2007) zeigte, dass drei- bis fünfjährige Kinder, die mit sich selbst sprachen, Rätsel schneller lösen konnten als solche, denen das Sprechen mit sich selbst untersagt wurde. Ab dem fünften Lebensjahr eines Kindes verlagern sich diese Gespräche dann immer mehr nach innen, bis sie überwiegend gedacht und nicht mehr verbalisiert werden.
Zwar spricht auch ein Großteil der Erwachsenen regelmäßig mit sich selbst – vorwiegend allerdings, wenn niemand zuhört oder in Form von inneren Monologen. Ob, wie und wie häufig Personen zu Selbstgesprächen neigen, lässt sich aber nicht verallgemeinernd sagen. Wie man später mit sich selbst spricht, hängt auch davon ab, wie unsere engen Bezugspersonen mit uns gesprochen haben, als wir Kinder waren: Wenn die Kommunikation motivierend und konstruktiv stattfindet, wirkt sich das auch auf die Gespräche mit uns selbst aus, da die positive Art und Weise verinnerlicht und auch sich selbst gegenüber angewendet wird. Erfahrungen in der Kindheit und dem sozialen Kontext werden sowohl für die Entstehung als auch für die Aufrechterhaltung von Selbstgesprächen als Einflussfaktoren gesehen. Weiterhin sollen Einzelkinder und solche, die in der Kindheit imaginäre Freundschaften pflegten, eher dazu neigen, auch im Erwachsenenalter mit sich selbst zu sprechen (Brinthaupt & Dove, 2012).
Die Wäsche will gewaschen, der Einkauf erledigt und für die Kinder muss unbedingt ein Arzttermin ausgemacht werden. Und hat nicht der Onkel heute Geburtstag? Wann war noch gleich der Service-Termin für das Auto? Den ganzen Tag über sind wir gefordert, oft laufen Dinge parallel. Sagt man sich die To-Dos laut vor, kann das für Ordnung im Gedankenchaos sorgen – und manche Menschen können sich Dinge einfach besser merken, wenn sie laut ausgesprochen werden. Selbstgespräche können zur Orientierung in unserer komplexen Welt eingesetzt werden und bei der Strukturierung von allem, was wir den ganzen Tag über erleben, helfen. Damit kann auch Stress bewältigt werden und durch die Ordnung von Gefühlen und Gedanken Klarheit entstehen (Reichl et al., 2013).
Gleichzeitig wirkt sich unsere innere Stimme auf die Selbstregulierung und Steuerung von Intellekt und Verhalten aus (Werani, 2009). Sie motiviert uns, zu handeln, aber auch Handlungen zu reflektieren und zu bewerten. Im Leistungssport greifen einige Sportler*innen auf Selbstgespräche zurück, um Motivation und Konzentration zu steigern. So prägen sie sich zum Beispiel die Wettkampfstrecke ein oder arbeiten mit positiven, motivierenden Sätzen. Eine Metaanalyse von Tod et al. (2011) konnte zeigen, dass positive Selbstgespräche die Leistungen von Sportler*innen verbesserten.
Selbstgespräche können uns helfen, Situationen einzuschätzen und Probleme zu lösen. Außerdem unterstützen sie uns dabei, uns selbst zu reflektieren und sind damit auch an der Formung von Bewusstsein beteiligt.
Dabei ist es von großer Bedeutung, wie wir mit uns reden. Ist die innere Stimme positiv und konstruktiv, so kann das die Leistung und das Selbstwertgefühl verbessern. Wir versichern uns, dass wir etwas schaffen können, loben uns oder reden uns anderweitig gut zu. Damit können Ängste überwunden und die Stimmung verbessert werden.
Die inneren Dialoge können jedoch auch negativ gefärbt sein. Stehen wir zum Beispiel unter Stress und haben zu viele Aufgaben zu erledigen, kann die innere Stimme schnell mal mit Sätzen wie: „Das schaffe ich nie!“ oder „Alle werden merken, dass ich nichts kann und sich über mich lustig machen“ entmutigen. Diese negativen Gedanken können sich destruktiv auf die Handlungsfähigkeit, das Selbstwertgefühl und damit auf das generelle Wohlbefinden auswirken.
Oft herrscht eine gewisse Scham, wenn es um Selbstgespräche geht, wird dieses Verhalten doch immer noch tendenziell mit psychischen Störungen in Verbindung gebracht. Problematisch wird es jedoch erst, wenn Personen nicht mehr auseinanderhalten können, welche Stimmen mit ihnen sprechen oder ob diese real sind. Von außen betrachtet wiederholen Betroffene zum Beispiel immer wieder die gleichen Sätze oder schimpfen lautstark vor sich hin. Das kann unter anderem bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Demenz oder Depressionen der Fall sein. Anders als bei Selbstgesprächen sind psychisch erkrankte Menschen in der Regel überzeugt davon, dass sie tatsächlich mit einem Gegenüber sprechen, das für sie sichtbar oder hörbar ist. Dementsprechend handelt es sich nicht mehr um die eigene Stimme, sondern sie wird als fremd wahrgenommen.
Wie stark eine Person zu Selbstgesprächen neigt, kann auch mit Faktoren wie dem Gefühl von Einsamkeit oder dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit zusammenhängen. Ist niemand da, mit dem man reden kann, kann das Gespräch mit sich zum Kompensationsmechanismus werden, um sich selbst zu beruhigen und das Bedürfnis nach Kommunikation zu erfüllen (Reichl et al., 2013). Vor allem wenn die innere Stimme zu dominant, aggressiv und negativ wird, sollte unbedingt die Hilfe einer Fachperson in Anspruch genommen werden, um mögliche psychische Erkrankungen auszuschließen.
Der US-amerikanische Psychologe Dr. Thomas M. Brinthaupt forscht seit Jahren zu Selbstgesprächen. Er hat die sogenannte Self Talk Scale (STS) entwickelt. Mit diesem Instrument lassen sich Häufigkeit und Art von inneren Dialogen messen, und analysieren, wie diese mit psychischen Zuständen, Leistungen und Verhaltensweisen zusammenhängen. Brinthaupt teilt Selbstgesprächen in vier Kategorien ein: Soziale Bewertung, Selbstkritik, Selbstverstärkung und Selbstmanagement (Brinthaupt et al., 2009).
Diese Dimension erfasst Selbstgespräche, die darauf abzielen, soziale Situationen und das Verhalten anderer Menschen zu analysieren. Beispiele hierfür sind Gedanken wie „Was hat Person XY wohl von mir gedacht?“ oder „Habe ich mich richtig verhalten?“.
Damit sind selbstkritische Gedanken und negative Selbstgespräche gemeint. Beispiele beinhalten Aussagen wie „Warum bin ich so dumm?“ oder „Ich hätte das besser machen sollen“.
Diese Dimension misst positive Selbstgespräche, die das eigene Verhalten und die eigenen Leistungen stärken. Beispiele sind Gedanken wie „Gut gemacht!“ oder „Ich bin stolz auf mich“.
Hier werden Selbstgespräche erfasst, die zur Planung und Organisation des eigenen Verhaltens und der eigenen Aufgaben dienen. Beispiele sind „Ich muss noch diese Aufgabe erledigen“ oder „Ich sollte als nächstes dies tun“.
Diese Einteilung lässt sich grob nutzen, die eigenen Selbstgespräche zu beobachten, einzuteilen und für sich zu nutzen. So können wir achtsamer werden, wenn und wie wir uns selbst kritisieren. Oder verstärkt auf Selbstverstärkung setzen, um uns zu motivieren und zu loben. Auch soziale Situationen lassen sich mit Hilfe der inneren Stimme bewusst analysieren.
Die innere Stimme kann eine große Bereicherung, gleichzeitig aber auch eine große Herausforderung sein. Zu oft gehen wir hart mit uns ins Gericht oder rutschen in die Negativität. Folgende Tipps können Dich dabei unterstützen, Selbstgespräche für Dich zu nutzen:
Oft nehmen wir gar nicht zur Kenntnis, dass wir mit uns selbst sprechen. Achte darauf, in welchen Situationen Deine innere Stimme laut wird, was und wie Du mit dir sprichst.
Versuche zu bemerken, wenn Deine innere Stimme Dich herunter macht und schlecht redet. Überlege Dir Argumente dafür, warum Deine Befürchtungen und negativen Meinungen nicht der Realität entsprechen. Welche Stärken, Eigenschaften und Fähigkeiten besitzt Du, die diese Argumente untermauern? Formuliere Deine Befürchtungen und negativen Selbstgespräche um. Statt zu denken: „Das schaffe ich nie, ich habe mir viel zu viel vorgenommen“, könnte der Satz lauten: „Ich möchte mich herausfordern, ich bin gut vorbereitet und gebe mein Bestes, um mein Ziel zu erreichen“.
Positive, selbstbestärkende Gedanken sollten aktiv geübt werden, damit sie die negativen, oft sehr eingefahrenen Gedanken ablösen. Dabei kann es helfen, positive Affirmationen - zumindest anfangs - laut auszusprechen. Mache Dir zum Beispiel schon beim ersten Blick in den Spiegel ein Kompliment oder sage Dir laut, warum der Tag ein guter Tag wird. Dadurch nimmst Du eine andere Haltung Dir selbst gegenüber ein, die die Ausschüttung von Endorphinen begünstigt und Du stärkst Dein Selbstwertgefühl.
Indem Du anstatt „Ich“ Deinen Namen sagst, generierst Du emotionalen Abstand zu dem, was in Dir vorgeht. Diese Distanzierung kann Dir dabei helfen, Gefühle objektiver zu betrachten und verringert die Intensität von negativen Emotionen. Auch stärkst Du so Deine Selbstregulierung und kannst rationalere Entscheidungen treffen, anstatt impulsiv zu reagieren. Durch die Ansprache in der dritten Person nimmst Du eine Außenperspektive auf Dich selbst ein. Das hilft dabei, Dir selbst (und anderen) empathischer und wohlwollender zu begegnen. Damit kann Selbstkritik weniger verletzend und persönlich werden und das innere Gespräch mitfühlender und unterstützender.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Wer mit sich selbst spricht, ist nicht gleich ein Fall für den Nervenarzt. Selbstgespräche können vielmehr ein kraftvolles Werkzeug sein, einen klaren Kopf zu behalten, sich Dinge besser zu merken und ganz besonders auch dafür, Dich und Deinen Selbstwert bewusst zu stärken.
Brinthaupt, T. M., & Dove, C. T. (2012). Differences in self-talk frequency as a function of age, only-child, and imaginary childhood companion status. Journal of Research in Personality, 46(3), 326-333.
Brinthaupt, T. M., Hein, M. B., & Kramer, T. E. (2009). The self-talk scale: development, factor analysis, and validation. Journal of personality assessment, 91(1), 82–92. https://doi.org/10.1080/00223890802484498
Reichl, C., Schneider, J. F., & Spinath, F. M. (2013). Relation of self-talk frequency to loneliness, need to belong, and health in German adults. Personality and Individual Differences, 54(2), 241-245.
Werani, Anke (2009). Die Rolle der Qualität inneren Sprechens beim Problemlösen. Journal für Psychologie, 17 (3).
Winsler, A., Abar, B., Feder, M. A., Schunn, C. D., & Rubio, D. A. (2007). Private speech and executive functioning among high-functioning children with autistic spectrum disorders. Journal of Autism and Developmental Disorders, 37, 1617-1635.
Tod, D., Hardy, J., & Oliver, E. (2011). Effects of self-talk: A systematic review. Journal of Sport and Exercise Psychology, 33(5), 666-687.
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